Oktober 2025

Kirche ganz neu denken

Liebe Kirchenvorsteherinnen, liebe Kirchenvorsteher, liebe Schwestern und Brüder!

Geht es Ihnen auch so, dass Sie denken: es muss sich jetzt grundlegend etwas ändern, damit unsere Kirche eine Zukunft hat? Alles, was bisher unternommen wurde, wird nicht reichen. Wenn die Austrittszahlen weiter auf einem so hohen Niveau bleiben, wenn die Kirchensteuer noch deutlicher einbricht, was wollen wir halten und auf keinen Fall aufgeben, was wird am Ende sich durchsetzen? Das ist eine sehr theologische Frage und natürlich auch eine soziologische.

Sehr überzeugend hat Jochen Teuffel das Risiko zukünftiger Illiquidität der Landeskirchen dargestellt: “Die steuerrelevanten Kirchenaustritte sowie die fehlende Neubegründung von zukünftig steuerrelevanten Mitgliedschaftsverhältnissen infolge unterbleibender Kindertaufen ... lassen erwarten, dass einzelne Landeskirchen in absehbarer Zukunft von einer Zahlungsunfähigkeit bedroht sein werden.”[1] Und weiter Jochen Teuffel: “Ich vermag mir gegenwärtig nicht vorzustellen, wie bei einer tatsächlichen Halbierung der realen Kirchensteuereinnahmen 2040 ein landeskirchlicher Haushalt beschlossen werden kann.”[2] Wurde vielleicht in den Jahren der Fülle (2010er Jahre) versäumt, die notwendigen Stellschrauben zu drehen? Der Ausverkauf hat ja längst schon begonnen. Gemeinden können ihre Immobilien nicht mehr finanzieren und müssen sich von ihnen trennen. Für Kirchenvorstände ist das eine sehr schwierige, mit vielen Verletzungen behaftete Aufgabe.

Ob der Evangelische Campus in Nürnberg die richtige Antwort in der Immobilienfrage der Landeskirche sein wird, ob damit eine Rendite für die Kirche erwirtschaftet werden kann, wird sich erst noch bewahrheiten müssen (Kaufpreis: 49 Millionen Euro; Umbau kosten: etwa 170 Millionen Euro). Besteht doch die Gefahr, dass Institutionen, die hier angesiedelt werden sollen in Zukunft nicht mehr finanziert werden können und so ein teilweiser Leerstand die Folge sein kann. Auch Landesbischof Christian Kopp räumte ein, man würde das Großprojekt vielleicht heute nicht mehr so entscheiden.

Wie kann die Kirche bei all diesen Entwicklungen in Zukunft aussehen? Welche Veränderungen sind nötig? Ich bin überzeugt davon, dass man noch einmal ganz neu ansetzen muss unter dem Gesichtspunkt “Was müssen wir unbedingt erhalten! Was sind die Prioritäten?”

Konstitutiv für das Sein der Kirche sind die Grundvollzüge der Evangeliumsverkündigung und der Sakramentsfeier. Dort wo der Taufstein, der Altar und die Kanzel stehen und die Menschen sind, die sich darum versammeln, ist in vollem Sinn die Kirche Jesu Christi gegenwärtig. In jeder Ortsgemeinde ist das gegeben. Die Ortsgemeinden sind die Basis der Arbeit der evangelischen Kirche und ohne lebendige Ortsgemeinden wird die Kirche schlicht untergehen. Mit ihren Gottesdiensten (ca. 4 %), Gruppen (ca. 10%) Großveranstaltungen (ca. 10-15%) und Kasualien (100%)[3] erreicht jede Ortsgemeinde alle Kirchenmitglieder und weite Teile der Gesellschaft. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen (Untersuchungen zur Kirchenmitgliedschaft) der letzten Jahre halten eindeutig fest, dass die Verbundenheit mit der Ortsgemeinde mit der Verbundenheit zur evangelischen Kirche gleichzusetzen ist.[4] Es ist mit unerklärlich, warum diese Ergebnisse in den Transformationsprozess unserer Landeskirche keine Beachtung finden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen deutlich, dass Austritte aus der Kirche sich an der Frage entscheiden, ob ich in meiner Ortsgemeinde eine Heimat für meinen Glauben finde oder nicht.[5] Die Gründe, warum der Gemeindebund Bayern so sehr auf das Primat der Ortsgemeinde setzt, haben wir in vielen Newslettern dargelegt. Aber es gibt mehr als die Ortsgemeinde - und das ist für unsere Kirche ein großer Segen. Was ist mit den Sondergemeinden wie Tourismus-, Akademie- und Jugendgemeinden, mit den vielen Aufgaben, die durch den landesweiten Dienst erfüllt werden? Es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, beides zu bedienen. Landesbischof Christian Kopp hat in seinem Rechenschaftsbericht vor der Landesynode in Amberg prognostiziert, dass sich innerhalb der nächsten 15 Jahre die Mitgliedschaft der bayrischen Landeskirche halbieren werde. Wenn diese Prognose stimmt, dann muss über die Zukunft der Kirche noch einmal ganz neu nachgedacht werden. Wenn die Spielräume und Möglichleiten so klein werden, dann muss man sich auf das Wesentliche beschränken. Die Weichenstellung dafür müsste jetzt erfolgen, nicht erst in 10 oder 15 Jahren. Deshalb plädieren wir für die Errichtung einer Gemeindekirche. Das erfordert ein wesentliches Umdenken bei den bisherigen Zukunftsstrategien. Die Ortsgemeinde galt Jahrzehnte lang als das große Problemfeld der Kirche: veraltet, überholt, milieuverengt, unreformierbar. Bei aller Betonung ihrer Bedeutung wurden die Gemeinde jedoch geschwächt und entmündigt. Das lässt sich an den verteilten Finanzen und Stellen leicht nachweisen.[6]

Unsere Bitte an Sie alle: Setzen Sie sich ein für einen zukunftsfähigen Weg unserer Kirche. Das hohe Vertrauen vieler Mitglieder in die Ortsgemeinde sollten wir als Chance der Volkskirche begreifen und für eine Gemeindekirche arbeiten.[7] Der Aufbruch der Kirche kann nur von unten geschehen, von einer breiten Vitalisierung der Ortsgemeinden.

Für den Gemeindebund
Dr. Gerhard Schoenauer
1. Vorsitzender

 

[1] Jochen Teuffel, Eisberge schmelzen, Deutsches Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt, Ausgabe 6/2025, S. 310

[2] ebd, S. 311

[3] Die Prozentzahlen sind geschätzt.

[4] Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, DPfBl 1/2016, 20 f.

[5] In der Landeskirche in Hannover hat man festgestellt, dass es deutlich weniger Kirchenaustritte gibt, bei einer angemessenen pastoralen Versorgung der Gemeinden. Besonders reformbegierige Kirchenkreise haben einen eminent höheren Mitgliederverlust.
“Kirche muss das Konzept einer volkskirchlich-flächendeckenden Prägung ... endlich wieder als große Chance für ihren Verkündigungs- und Seelsorgeauftrag begreifen und nicht als lästigen Mühlstein an ihrem Hals empfinden. Dazu muss sie ihre Ortsgemeinden wieder ernstnehmen und ihnen die geldlichen und personellen Mittel lassen, die ihr die Kirchensteuerzahler für kirchliche Gemeindesarbeit im guten Glauben anvertrauen” (Herbert Dieckmann, Pfarrerverein Hannover, DPfBl 12,2014, 10

[6] Nur ein Beispiel: wenn Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer auf Grund hoher Arbeitsbelastung auf Antrag weniger oder gar keinen Religionsunterricht geben, wird ihnen ein nicht unwesentlicher Teil des Gehaltes gestrichen. Alle Stelleninhaberinnen im landesweiten Dienst (außer denen, die im Religionsunterreicht eingesetzt sind) müssen keinen Religionsunterricht erteilen. Was für eine Ungerechtigkeit!

[7] Als Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher können Sie bei der Wahl zur Landessynode darauf achten, wer in dieses Leitungsgremium unsere Kirche gewählt wird.


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